Trinkbefehl: Gewürztraminer

Drei Wochen früher als üblich steht die Natur im Örtchen Tramin in voller Blüte, und das Wirtshaus ist bereits vor dem großen Touristenansturm zum Bersten gefüllt. Zum Aperitif bringt die Bedienung neben Speck und Käse eine Flasche Wein, die das Gesamterlebnis aus Blumenduft, romantischer Lage, Sonnenschein und deftiger Mahlzeit vollkommen macht: Es ist ein Gewürztraminer. Besser geht es nicht, so der Tenor am Tisch. Höchste Zeit für eine Ode an den Gewürztraminer. Denn sein Ruf in Deutschland ist zu Unrecht ramponiert.

Zu süß, zu parfümiert und nicht zeitgemäß lauten die üblichen Kommentare, wenn man seinen Gästen ein Glas Gewürztraminer anbietet. Es ist bemerkenswert, wie hartnäckig sich diese Vorurteile nördlich der Alpen halten. In den Weinbars von Rom, Mailand, Neapel und Palermo fließt der Gewürztraminer in Strömen, während man sich in Deutschland auf Riesling, Weißburgunder und Sauvignon blanc konzentriert. Zugänglich, leicht und spritzig müssen die Weine heute sein. Dabei bietet der Gewürztraminer viel mehr als diese Massengetränke, vor allem: Charakter.

Auch beim Wein sucht man heute das Ursprüngliche

Die Bukettsorte mit dem distinktiven Duft nach Rosen, Litschi, Muskat und Orangeat hat etwas Bacchantisches – Bescheidenheit ist ihr fremd. Im Mund ist der Gewürztraminer cremig-viskos, mild in der Säure. Mit seinem individuellen Ausdruck passt er perfekt zur neuen Sehnsucht nach allem, das der geschmacklichen Uniformität von Industrieprodukten etwas entgegensetzt. Manufactum preist die guten Dinge, Bäcker und Metzger besinnen sich auf die Tradition und auch zu Hause wird wieder gebacken und eingeweckt.

Die Suche nach dem ursprünglichen, aussagekräftigen Geschmack betrifft auch Genussmittel wie Wein und Bier. Kaum ein Produkt, das nicht als Craft-Variante angeboten würde. Dabei war der Gewürztraminer schon Craft, bevor es den Begriff überhaupt gab – dank seines eigenständigen Geschmacks und seiner Jahrtausende alten Geschichte. Ein Grund mehr, uns nochmals nachzuschenken.

Christoph Geyler, Sommelier und Gastgeber im „Ernst“, Berlins bestem Supper Club, der demnächst als Restaurant eröffnet, hat für die Getränkebegleitung stets Gewürztraminer unterschiedlicher Couleur zur Hand, allesamt Naturweine. Zum Beispiel von Patrick Meyer aus Nothalten im Elsass: „Frisch und schlank, gut duftend wie eine junge Dame.“ Oder leicht gereift aus dem Jahr 2011, von Laurent Bannwarth aus Obermorschwihr. „Etwas fülliger und ein wenig alkoholreicher, passt sehr gut zu Bittersalaten, Wildkräutern und Löwenzahn“, sagt Geyler.

Der Elsässer Gewürztraminer, für viele Weintrinker so sehr mit der Region verbunden wie der Gugelhupf, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Einst wuchtig, stark parfümiert und vor allem süß, entsprach dieser Ausbau vor gut 20 Jahren dem damaligen Zeitgeschmack und bestückte denjenigen Teil der Weinkarten, der heute wieder von deutschen Weißweinen dominiert wird.

Junge Winzer produzieren im Elsass inzwischen hervorragenden Gewurz, wie sie ihn dort nennen. Als Orange-Wein bekommt der von Natur aus säurearme Wein zusätzlichen Schmiss, Gerbstoff und Frische. Auch als Pétillant naturel, ein in der Flasche zu Ende vergorener Wein, macht der Gewurz eine stattliche Figur. Dezente Restsüße und zarte Kohlensäure sorgen hierbei für einen Extra-Kick.

Die Herkunft des Gewürztraminers ist ungeklärt

Trends zogen stets am Gewürztraminer vorbei. Als eine der ältesten bekannten Rebsorten der Welt wurden Traminer-Kerne schon im alten Ägypten als Grabbeilage entdeckt. Von dort aus kam die namenlose Rebe wahrscheinlich über das Mittelmeer nach Europa. Dort mutierte er zu einem Elternteil fast aller heute gängigen Sorten: Riesling, Grüner Veltliner, Silvaner, sowie der Burgunder- und Cabernet-Familien. Seine Verbreitung ist seit dem 11. Jahrhundert unter dem Namen Traminer Wein gesichert. Das erlaubt jedoch zwei Lesarten: Als Wein aus dem Südtiroler Ort Tramin oder als Wein aus gleichnamiger Rebsorte.

Obwohl heute zweifelsfrei geklärt ist, dass der Traminer nicht aus Tramin stammt, geht seine Namensgebung sehr wohl auf den gleichnamigen Südtiroler Ort zurück. Willi Stürz, Kellermeister der Kellerei Tramin und Pionier des modernen Gewürztraminers in Italien erklärt dies so: „Südtirol hatte im Mittelalter einen guten Ruf an den Herrscherhäusern und so produzierten die Klöster der Region große Mengen Wein für die Höfe in ganz Europa sowie großen Mengen Messwein. Der Austausch zwischen den Klöstern in war rege und beeinflusste den Weinbau im gesamten mitteleuropäischen Raum.“

Prof. Attilio Scienza, ehemalige Leiter der Südtrioler Weinbauschule in Eppan, forscht heute an der Uni Mailand zu seinen Ursprüngen und vertritt die Theorie, dass der Gewürztraminer aus dem Pfälzer Becken stammt.

Die Rebstöcke stehen mittlerweile unter Naturschutz

Fest steht, dass die Pfalz auch heute noch das Zentrum des deutschen Gewürztraminer-Anbaus ist. Im südpfälzischen Rhodt stehen im Rhodter Rosengarten die ältesten tragenden Gewürztraminer-Anlagen des Landes, sie könnten die ältesten tragenden Rebstöcke der Welt sein. Noch vor dem 30-jährigen Krieg gepflanzt, überlebten sie die Reblaus-Katastrophe Ende des 19. Jahrhunderts und stehen seit 1968 unter Naturschutz.

In Südtirol begann vor 20 Jahren, zeitgleich mit dem Beginn des deutschen Weißwein-Wunders, der Aufschwung des Qualitätsweinbaus. Der bislang als einfacher Schoppen getrunkene Gewürztraminer erhielt besondere Aufmerksamkeit und erlebt seitdem einen beispiellosen Aufstieg. Man erkannte, dass er in Lagen zwischen 300 und 550 Höhenmetern mit niedrigeren Temperaturen und kühlenden Fallwinden ideale Voraussetzungen findet, die ihn vor Beliebigkeit bewahren. Während die Flächen in Deutschland und Frankreich konstant bleiben, hat sich seine Anbaufläche in Südtirol seit 1990 von 150 auf gut 550 Hektar vergrößert und damit fast vervierfacht.

In Deutschland tut man sich (noch) schwer

Der Gewürztraminer glänzt nicht nur als Solist oder zum Apéro. Auch die aromenstarke Küche des Maghreb, die indische Küche oder Thai-Currys bieten ihm Steilvorlagen. In der Steiermark trinkt man ihn zum Backhendl, zum Wiener Schnitzel eröffnet er neue geschmackliche Horizonte. Mit den deftigen Gerichten seiner mutmaßlichen Heimat harmoniert er ohnehin außergewöhnlich gut: Er adelt deftige Schweinefleischgerichte mit Sauerkraut, Saumagen, ein schlichtes Leberwurstbrot oder ein Stück Apfelkuchen.

„In Italien nähert man sich dem Gewürztraminer völlig unbefangen“, sagt Martin Foradori-Hofstätter, Vize-Bürgermeister von Tramin und Inhaber des gleichnamigen Weingutes. „Man trinkt ihn zu Spaghetti aglio olio und zu allem, was Mamma sonst auftischt, und pfeift auf das Food-Pairing. Man trinkt ihn einfach.“ Christoph Geyler serviert den Pétillant naturel „La Petite Folie“ von Bannwarth momentan zum Dessert, der Wein hat eine lebendige, typische 2013er Säure, charmanten Restzucker von 26 Gramm und eine leichte Kohlensäure. „Ein Traum zu Rhabarber oder Apfeltarte“, sagt Geyler.

Auch außerhalb von Europa erfreut sich der Gewürztraminer großer Beliebtheit. Er wird in den USA, in Neuseeland und in Australien angebaut. Dort kennt man keine Berührungsängste mit Aroma, Komplexität und der Dichte von Weinen. Nur in Deutschland ziert man sich – noch. Die Entwicklung hin zu mehr Geschmack ist jedoch unaufhaltsam, und der Gewürztraminer ist ihr bester Botschafter. Ob aus Neugier oder historischem Interesse: Höchste Zeit, einen Schritt hinaus zu wagen aus der geschmacklichen Komfortzone und mal wieder eine Flasche Gewürztraminer zu entkorken.

 

Foto: Cathrine Stukhard/laif; LUZphoto / fotogloria/Cathrine Stukhard/laif