Sie haben mir drei Kilo Haut weggeschnitten

Austrian original and TV-entertainer Hermes Phettberg, presents his cartoon tape "Phettbergs Phaxen", on Wednesday, November 15, 1995 at Vienna's Gmoa-cellar. (AP Photo/Ronald Zak)

Als Talkshow-Moderator kam Hermes Phettberg in den Neunzigern zu Ruhm – oder war es eher sein üppiger Leibesumfang, der ihn bekannt machte? Das Food-Magazin „Effilee“ hat den mittlerweile siechen Frührentner in Wien getroffen und ihn gefragt: Wie war das so mit Ihrer Fresssucht?

„Ich kann fast nichts mehr, nur mehr schwer radebrechen. Aber ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen. Ergebenst, Ihr Hermes Phettberg.“ Die Antwort auf meine Mail-Anfrage gibt einen Vorgeschmack auf einen Mann, der einst ein wenig berühmt war: Stets eröffnet von der Frage „Frucade oder Eierlikör?“, war Phettbergs „Nette Leit Show“ Mitte der neunziger Jahre der Beweis, dass Fernsehen doch Spaß machen kann. Es war der Höhepunkt einer Karriere zwischen Kunst und Leben, die in den Achtzigern mit der Ausstellung der eigenen Exzesse begonnen hatte. Doch der Ruhm war von kurzer Dauer. Zu real war der Hermes, der wirklich schwul war, wirklich süchtig nach Jeansboys, wirklich ein Getriebener seiner Fetische. Und Phettberg war fett.

Wir treffen uns bei ihm zu Hause. Ich werde empfangen mit vollendeter Wiener Höflichkeit – trotz seines siechen Zustands ist Hermes Phettberg ein nonchalanter Gastgeber. Es ist ihm schlecht ergangen: drei Schlaganfälle, der letzte ein Hirnschlag, und Diabetes mellitus. Mit dem Lesen geht’s nicht mehr so gut, das Sprechen strengt ihn an. „Ich war doch mein Leben lang immer bettelarm“, spricht der verwahrloste Herrscher in Frührente.

Er scheint ein wenig verwundert, dass ich gerade ihn nach Essen frage. „Ich habe gefressen, egal was, gefressen. Auf Masse.“ Das hatte nichts mit Genuss zu tun, es war Kompensation. Bei Reisen zu TV-Auftritten fuhr er als Erstes zum Discounter, um Essen zu kaufen, um „konsequent durchzufressen“. Aufenthalte außerhalb seines Viertels Mariahilf in Wien kompensierte er durch ein Fress-Koma.

Phettberg inszenierte sich als einer, dem das Scheitern mit auf den Weg gegeben war. Ein Scheiterhaufen aus Unternalb, Niederösterreich, wo er als Josef Fenz geboren wurde. Die Metamorphose zu Hermes Phettberg, dem Götterboten im Schmalzgewand, ist die Geschichte einer Suche nach der Erfüllung eines Liebesversprechens, das dem ehemaligen Pastoralassistenten niemals jemand gegeben hat.

„Ich bin 58 Jahre alt und war Zeit meines Lebens nie liiert. Ich bin immer allein gewesen.“ Ging es Phettberg schlecht, ging es ihm erst nach dem Essen besser. Fragen nach einem sinnlichen Genuss sind dabei völlig fehl am Platz. Aber er freut sich ehrlich darüber, dass ich mich für das „Gesamtkunstwerk Phettberg“ (Harald Schmidt) interessiere, wir plaudern entspannt. „Was bedeutet Effilee?“, fragt er. Die Erklärung wird sofort verdreht: „Gerupftes Huhn!“ Er lacht. „Na, da sind Sie hier richtig! Rupfen Sie, ich bin Ihr Sklave!“

In einem Leben, das durch Süchte aus den Fugen geraten ist, schaffen Betreuung und Rehabilitation Struktur. Die ungesteuerte Fresssucht und ihre Folgen sind der klinisch kontrollierten Diätetik gewichen. Zu größeren Auftritten kommt es kaum noch. „Die Leute haben Angst, dass ich Ihnen unter den Händen wegsterbe, wenn sie etwas mit mir machen. Du bist ja als zu Sterbender ständig in Angst.“ Spricht’s und zuckt mit den Schultern.

Er selbst nennt sich eine „Karteileiche, dafür aber fix“

Von 170 auf 73 Kilo ist er runter. „Das war keine Diät“, beteuert er. Einen Monat wurde er am Tropf künstlich ernährt, das fordert seinen Tribut. „Drei Kilo Haut haben sie mir weggeschnitten. Drei Kilo!“ Pause. „Ich möchte nicht mehr dick sein.“ Wir schweigen eine Weile. Man darf kein Frage-Antwort-Spiel betreiben, es gibt kein Muss auf dem Planeten Phettberg. Was hat es denn heute zum Frühstück gegeben? Die Antwort ist erstaunlich detailliert: „Zwei Frühlingszwiebeln, eine Karotte, zwei Paradeiser, etwas Müsli. Dann meine drei Ernährungsergänzungsmittel: Leinsamenölkapsel, Lachsölkapsel, Weizenkeimölkapsel.“

Der Sommer in Mariahilf schwappt durch das geöffnete Fenster ins Wohnzimmer. Phettberg erzählt von seinem Alltag, stets lauert der Schweinehund. „Da musst du ja wieder dicken, wenn du wenig gehst und nur vom Essen schwadronierst. Allein vor deinem Computer sitzend …“ Das schreibt er in der Gestion, seinem Blog. In Schreibmaschinenoptik und sorgsam gepflegt ist sie sein Draht zur Außenwelt. Die einst öffentliche Person scheint heute isoliert, ein stiller Beobachter, verdammt zur Untat, zur Funktionslosigkeit.

Und natürlich schreibt er über die ihn erfüllende Leere. Als „Bio-Müll“ beschreibt er sich oder als „Karteileiche, dafür aber fix“. Auffällig ist, dass minutiös jede Mahlzeit penibel aufgelistet wird, Tag für Tag. Bis auf das Abendbrot. „Nach 18 Uhr esse ich nichts mehr. Ich trinke dann nur noch etwas warmes Wasser.“

Die Protokolle seiner Mahlzeiten sind Teil seiner Alltagsstrukturierung. Hier und da gibt es Momente, die mehr verraten, als er im Gespräch zugeben mag. Seine Leibspeisen Krautfleckerl und die buddhistische Fastenspeise lassen ihn schwelgen und im Blog versöhnliche Töne anschlagen. Sogar Gott wird danach milder betrachtet. Ein Apfel am Tag hält den Doktor fern, lieber noch dürfen es Weinbergpfirsiche sein. „Alle anderen schmecken dir nicht mehr so gut, wenn du einmal einen Weingarten-Pfirsich aßest.“

Angespornt durch seine plötzliche Mitteilsamkeit frage ich nach seinem heutigen Mittagessen. „Chinesisches Essen mag ich. Ich habe noch ein paar Lychees von heute Mittag.“

Nach gut einer Stunde ist er erschöpft und bittet um Beendigung des Interviews. Er nimmt kaum noch Teil an der Medienwelt, freut sich jedoch, dass sich jemand erinnert und bittet um zwei Belegexemplare. Er habe alles was er brauche, es gehe ihm gut, man solle sich keine Sorge machen, er fühle sich wohl behütet. Eine besondere Freude habe ihm gemacht, dass ich für ihn Bluejeans angezogen habe. „Wie ein Jeansboy“, sagt er und lacht.