Diesen schottischen Pfundkuchen sollten Sie heute noch backen – und dann bis Weihnachten durchziehen lassen. Passt übrigens nicht nur zu Wein – von Sebastian Bordthäuser und Manuela Rüther (Rezeptentwicklung und Fotografie)
Wenn sie kein Brot mehr haben, sollen sie doch Brioche essen“, zitierte schon Marie Antoinette Jean-Jacques Rousseau. Ein guter Rat. Auch wenn die häufige Übersetzung von Brioches zu „Kuchen“ nicht korrekt ist, ist die Qualität der Aussage eindeutig: leicht süßes Gebäck aus weißem Mehl, das etwas Besonderes symbolisiert und sich durch die Zutaten abgrenzt vom gemeinen Brot.
Kuchen ist das süße Pendant zum Brot, dem schnöden Treibstoff der Alltäglichkeit. Kuchen ist Sonntag, Kuchen ist Extra, kein nötiges Glied in der Nahrungskette. Er besteht aus purem Luxus, weißem Mehl, Zucker und Fett. Schnell verwertbare, direkte Energie, die Kalorien schießen wie Crystal-Meth direkt ins Hirn. Und Kuchen hat viele Gesichter: vom fluffig-leichten Biskuit bis hin zum schottischen Dundee Cake. Schwer und komprimiert ist er, der Diamant unter den Backwaren: In größerer Dichte kommen Kalorien nicht vor.
Der Dundee Cake ist nach seinem Geburtsort, der schottischen Hafenstadt Dundee, benannt und hat eine lange Tradition. Dies hat drei Gründe: Das Rezept ist kinderleicht, denn der Dundee Cake ist eine regionale Abwandlung des klassischen Pfundkuchens.
Zweitens: Der Kuchen ist lagerfähig. Dank der leichten Feuchtigkeit der alkoholgetränkten Trockenfrüchte trocknet er nicht aus, sondern bleibt saftig. Der Alkohol verhindert das Verderben der zuckerhaltigen Kost, eigentlich ein Fest für jegliche wilde Hefe. Man könnte ihn vergleichen mit dem deutschen Christstollen, der ebenfalls gelagert werden sollte. Ein wichtiges Argument aus Zeiten, in denen Kühlschränke noch nicht erfunden waren.
Drittens: Er ist die ultimative Kalorienbombe. Schottland ist ein ungeheures Land, in dem es viel regnet. Es ist kalt und hügelig, in den Bergspalten kondensiert das Wasser zu Lochs. Die Männer, die bei Wind und Wetter draußen arbeiten, benötigen kalorienhaltige Kost, die schnell verwertbare Energie bietet. Dundee Cake ist der ideale Imbiss: die gesättigste Form, in der man Energie zu sich nehmen kann.
Der Überlieferung nach ist der Dundee Cake übrigens ein Nebenprodukt der Marmeladenherstellung. Janet Keiller, Frau des gleichnamigen Kaufmanns, erfand einst die Orangenmarmelade in Dundee. Da eine Fuhre für den schottischen Gaumen ungenießbarer Bitterorangen aus Spanien wie Blei in den Regalen des Gatten lag, kochte seine Frau flugs Marmelade daraus. Die Marmeladentradition in Dundee ist lang, im Hinterland wird seit jeher Obstanbau betrieben. Doch zurück zum Kuchen: Queen Mary, so der Mythos, war keine Freundin der damals allgegenwärtigen Kirsche im Kuchen, weder frisch noch getrocknet. Darauf kreierte ein Bäcker aus Dundee ihr zu Ehren einen Kuchen ohne besagte Kirschen. Er tränkte Früchte in Whisky, nahm je ein Pfund Butter, Zucker, Eier und Mehl, und fertig war die Spezialität. Verziert wurde der Kuchen mit geschälten Mandeln, was heute noch die klassische Garnitur für Dundee Cake ist, und (jetzt wird das Rad zum Kreis) mit Orangenmarmelade abgeglänzt.
Jemand muss ihn einst vergessen haben oder seiner so überdrüssig gewesen sein, dass er ihn eine Zeit später probierte und feststellte, dass er sogar noch besser schmeckte, als er es in Erinnerung hatte. Und so begann man, den Kuchen zu lagern, um eine optimale Vermählung der Aromen zu erreichen.
Doch was soll man zum Kuchen trinken? Eine gute Flasche Wein natürlich! Schon Rotkäppchen wusste um die Vorzüge dieser Kombination und brachte sie der geschwächten Großmutter.
Und weil der Dundee Cake ein besonderer Kuchen ist, nehmen wir einen besonderen Wein: Madeira! Der Wein, der seinen speziellen Charakter der Seefahrt zu verdanken hat. Die Weine von Madeira überstanden meist die langen Schiffsfahrten zum Kontinent nicht, da sie zu instabil waren. Also begann man, sie, ähnlich dem Portwein und dem Sherry, zu spriten. Durch die Zugabe von Branntwein, dem Fortifizieren, stabilisierte man den Wein und machte ihn stabiler für die langen Seehandelswege. Ähnlich dem Port behielt er so seine natürliche Süße. Man stellte allerdings bald fest, dass die Weine immer besser wurden, je länger sie in heißen Regionen unter Deck waren. Die Bewegung der Schiffe und die Temperaturen gaben dem Wein seinen eigenen Geschmack, was auch als Maderisierung beschrieben wird. Das bedeutet, der darin enthaltene Zucker karamellisierte durch die Hitze langsam. Der Wein bekommt so seinen speziellen Geschmack und seine Bernstein-Farbe. Auf diese Erkenntnis hin wurden bald ganze Flotten auf See geschickt, zweimal über den Äquator, um ihn so zu reifen zu lassen. In Raritäten-Auktionen sind heute manchmal noch auf Schiffsfahrten gereifte Madeiras zu finden. Es findet sich dann der Vermerk TVE auf dem Etikett (für Torna Viagem = Rundreise). Ab dem 20. Jahrhundert begann man, Madeira weniger kostenintensiv und aufwendig in Estufagems (englisch: Hothouse) unter Blechdächern der Hitze auszusetzen. Heute wird diese Reifung künstlich gesteuert durch temperaturkontrollierte Betontanks, in deren Wände Heizspiralen eingearbeitet sind. Seine einzigartige Nase nach Karamell, Trockenfrüchten und die starke oxidative Note machen ihn zum perfekten Begleiter des Dundee Cake. Der hohe Gehalt an Zucker und Fett verlangt nach einem starken Gegner, in diesem Falle 19 Volumenprozent Alkohol. Beides, Kuchen und Wein, sind Produkte, deren Qualität sich durch zunehmende Reifung, durch Zeit verbessert. Und sie sind mehr als nur die Summe ihrer Teile: ambrosische Seelennahrung.
Zuerst erschienen in: Welt am Sonntag.