Bier hat Besseres verdient – ein Loblied

Der Bierkonsum in Deutschland ist rückläufig, seltsame Mischgetränke sollen den Verbrauch ankurbeln. Während die Zukunft vieler deutscher Brauereien ungewiss ist, feiert Traditionsbier anderswo ein Comeback. Ein Wein-Sommelier hat sich in den USA umgesehen – und erstaunlich viel Gutes entdeckt.

Die USA sind mit 230 Millionen Hektolitern Produktionsvolumen nach China und Deutschland der drittgrößte Biermarkt der Welt. Dort scheint der Albtraum jeden Brauers bereits Wirklichkeit: Drei Giga-Konzerne teilen sich den Markt, allen voran Anheuser Busch, im Sommer 2008 übernommen von der belgischen Inbev und somit größter Getränkekonzern weltweit. Die Plätze zwei und drei gehen an SABMiller und Coors. Allein Anheuser Busch produziert pro Jahr genauso viel Bier wie alle deutschen Brauereien zusammen.

Der Streit der Giganten um den Markt ist gnadenlos und treibt mitunter bizarre Blüten: Budweiser, das Pilsner aus dem tschechischen Budvar, darf sich in den USA nach einem Gerichtsbeschluss nicht einmal mehr beim eigenen Namen nennen. Gewonnen hat Anheuser Busch, das böhmische Original heißt auf dem US-Markt jetzt „Czechvar Premium Czech Lager“.

Klingt finster. Bei Licht betrachtet ergibt sich daraus aber ein für den Konsumenten erfreuliches Bild.

Die USA sind das Ursprungsland der political correctness und eines teilweise schon manischen Ernährungsbewusstseins. Das ist bisweilen anstrengend, hat aber auch positive Seiten: Allein durch den Gesund-Supermarktriesen Whole Foods mit Filialen in 39 US-Bundesstaaten stehen Produzenten regionaler Lebensmittel optimale Vertriebswege zur Verfügung. „Natürliche und biologische Produkte höchster Qualität“ zu verkaufen lautet die Leitlinie des Unternehmens, und diese setzt ganz bewusst auf regionale Produkte lokaler Hersteller. So bekommen Produkte, losgelöst vom altbackenen Öko-Image, allein durch Regionalität eine bessere Umwelt-Bilanz. Gleichzeitig präsentieren sich die Whole Foods-Märkte in so modernem Gewand, dass der Bioladen um die Ecke daneben ziemlich alt aussieht.

Selbst das Bierregal ist dort ein kleines Paradies. Entschlackt vom Ballast der Bier-Multis präsentiert sich eine Palette von Bieren, die das Herz jedes Biertrinkers höher schlagen lässt: Ales, Stouts, Porter und Imperial, Pilsner und Lager. Es finden sich dort auch Biere aus Europa, was die Öko-Bilanz natürlich trübt, denn warum sollte man ein so regionales Produkt um die Welt fliegen? Doch auch die angebotenen europäischen Biere stammen ausnahmslos von kleinen Herstellern: Reissdorf Kölsch steht neben Uerige Alt, englisches Ale neben belgischem Trappistenbier. Warsteiner und Co? Fehlanzeige.

Das Beispiel Whole Foods straft das Argument der Biergiganten Lügen: Man muss nicht immer dem angeblichen Wunsch des Verbrauchers entsprechen und die Regale mit den Produkten der Marktführer füllen – es geht auch anders. Industriell hergestellte Massenprodukte, die mit dem Handwerk eines guten Braumeisters soviel gemein haben wie Stangenmozzarella mit Rohmilchkäse, fallen hier einfach aus dem Portfolio. Der Kunde bekommt so über ein bewusst zusammengestelltes Sortiment die Gelegenheit, ursprüngliche Produkte wieder zu entdecken.

Meine letzte Reise in die USA führte mich nach Maine in die kleine Universitätsstadt Orono. Maine hat nach Oregon die höchste Dichte an sogenannten „Microbreweries“ , das sind Brauereien, die nicht mehr als 15.000 Hektoliter Bier pro Jahr produzieren. Zum Abendessen kam regelmäßig ein irischer Meeresbiologe mit einigen Trägern Bier vorbei. Er freute sich, mit einem anderen Bierliebhaber zu plaudern und ganz nebenbei die Schwierigkeiten der Thunfischzucht zu erläutern.

Diese Verkostungen bestanden jeden Abend aus anderen Bieren lokaler Brauereien aus Neuengland, die meisten direkt aus Maine. Das Angebot war ausufernd: Stout, Ale, Pils, schwarze und rote Biere sowie jahreszeitliche Spezialabfüllungen, alle von sehr differenzierter geschmacklicher Vielschichtigkeit – jedes davon stammte aus dem Getränkemarkt um die Ecke.

Ein Paradies im Vergleich zu Deutschland. Hier hat man sich sehr lange auf dem Image der „Biernation“ ausgeruht, darüber aber die regionale Traditionen und Geschmackscharakteristiken in Vergessenheit geraten lassen. Jetzt ist das Risiko groß, dass man hierzulande den Anschluss an die Renaissance des Bieres verpasst.

Zwar ist Deutschland mit mit seinen Kleinstbrauereien in Bierfranken und Bayern sowie mit Dortmund und dem Rheinland noch immer eine der drei führenden Biernationen der Welt. Doch verglichen mit den USA hinkt es hinterher. Oder können Sie neben dem Geburtsjahr des deutschen Reinheitsgebots (1516) den Unterschied zwischen ober- und untergärig nennen oder ein Imperial Stout von einem Porter unterscheiden?

Schlagen Sie nach auf der Seite des BeerAdvocate ! In Anlehnung an Robert Parkers Wine Advocate gründeten Jason & Todd Alström aus Boston im Jahr 2000 die Website, die sich mit nichts anderem als dem Thema Bier befasst. Das Portal, das monatlich rund 10 Millionen Klicks und täglich 400 neue Mitglieder verzeichnet, erklärt ausführlich die verschiedenen Braustile und Biertypen. Darüber hinaus enthält die Seite unzählige Verkostungsnotizen sowie Hersteller- und Bezugsadressen. Es handelt sich also keineswegs um Bier-Nerdiness von betrunkenen Highschool-Teenagern, sondern um eine professionell von Brauern, Bierliebhabern und Endkonsumenten gemachte Seite. Ein ähnliches Forum zum Thema fehlt in Deutschland bislang.

Das ist ja fast so schlimm wie beim Wein, mag man meinen. Es ist sogar noch viel schlimmer: Bier hat mit gut 3000 Komponenten ein zehnfach größeres Aromenspektrum als Wein, momentan jedoch ein Imageproblem wie Liebfrauenmilch. Es stellt sich die Frage, warum auf qualitativer Ebene Bier regelmäßig dem Wein untergeordnet wird, anstatt es als ebenbürtiges kulturelles Gut zu respektieren. Es geht um geschmackliche Vielfalt, nicht um Hierarchien. Der Bierbauch hat noch immer ein schlechteres Renommee als die gerötete Nase des Weinkenners. Standesdünkel könnte hier eine nicht unwichtige Rolle spielen.

Dabei sieht die Realität vor allem bei Weinkennern und Weinliebhabern ganz anders aus: Eine ganze Reihe meiner Sommelier-Kollegen werden Sie nach Weinproben stets mit einem kühlen Bier in der Hand antreffen. Eine Hommage an den Arbeitertrunk? Nein, es ist eine Ode an das Bier, die unbeschwerteste aller alkoholischen Erfrischungen.

Dennoch ist die Zukunft des Bieres in Deutschland ungewiss. Immerhin hat die Krise dafür gesorgt, dass viele Menschen sich bodenständigen Dingen besinnen und zur Abwechslung auch mal wieder Bier statt Champagner trinken. Warum auch nicht? Es macht Spaß, Bier in allen seinen Facetten wieder zu entdecken. Manchmal mag es mit etwas Aufwand verbunden sein – aber hören Sie nur Musik, die im Radio läuft?

Zuerst erschienen in: Welt am Sonntag.