Lambrusco – trink nicht mit den Schmuddelkindern

Als Sparkling Red kann ein guter Lambrusco ganz schön was hermachen.

Die Augen meiner Nachbarn weiden sich mit schmähendem Blick an der Ansammlung leerer Bouteillen, die ich allmontäglich zum Container hieve. Gleich darauf geht das Gemurmel los, kaum noch über das stattliche Quantum, sondern über die immer verschrobenere Auswahl an Kreszenzen, die ich unter lautem Klirren im Container versenke. »Hast du gesehen?«, hört man sie beim Vorbeigehen raunen, »jetzt geht’s endgültig bergab mit ihm, das Geld reicht nurmehr für Lambrusco.« Mitleidiges Raunen begleitet ihren Fortgang. Lambruscos Leumund ist hinüber, am Boden, ruiniert. Und was tut man als redlicher Passant, wenn man dran vorbei geht? Richtig, nachtreten!Lambrusco ist das klassische Ding aus der Emilia-Romagna mit Epizentrum Modena. Das einstige Getränk Wirtschaftswunder-Deutschlands, das uns La Dolce Vita brachte, wurde bald abgestraft, um als schlimmstes Getränk unter der Sonne in der kollektiven, schwammigen Erinnerung des Landes zu versinken. Kaum einer hat es je getrunken, will das aber auch gar nicht, denn der Ruf ist seitdem konstant beschissen. Aber was hat er denn gemacht außer rot zu sein, meist süß und zu prickeln? Nun, er war wohl schlecht, und ist es immer noch. Die Masse macht’s, was sonst. Italien ist das Land mit der weltweit größten Weinproduktion. Allein in Apulien wird mehr Wein hergestellt als in ganz Deutschland zusammen. Und Lambrusco ist einer der Spitzenreiter der italienischen Produktion, und das gilt für den heimischen wie für den Exportmarkt. Über 115 000 Hektoliter Lambrusco werden Jahr für Jahr hergestellt, davon etwas weniger als ein Drittel als DOC-geschützte Weine. Wie kommt es aber, dass ein Wein mit nicht wegzudiskutierender Marktpräsenz so einen miserablen Ruf hat? Irgendwer muss die Plörre ja schließlich trinken.

EVOLUTIONSTHEORIE DES ­NIEDERGANGS ALKOHOLISCHER MODE­GETRÄNKE

Es scheint, dass der Weg der ewig Gleiche ist. Phase eins: Entdeckung eines einfachen Produkts mit folkloristischem Charme. Rot-weiß karierte Tischdecken unterlegen den Pastateller aus hübsch bemaltem Geschirr, Senfglas statt Weinkelch, gefüllt mit Lambrusco. Phase zwei: Es wird ein Geheimtipp, die Presse wird hellhörig und schreibt die Brause irgendwie schön. Dolce Vita blabla. Sommeliers spielten damals noch keine Rolle, tranken wohl aus Snobismus auch keinen Lambrusco. Dann kommt der Hype, es folgt Phase drei: Der Markt zieht nach und produziert schnell gemachte Brause. Lausige Moste in schnell vergorenen Wein gekippt und ab dafür. Und es muss Menge, nein Masse her, denn die Hypemärkte sind schrecklich durstig. Es wurde zusätzlich zum heimischen Markt nun auch für Deutschland und die USA produziert, wo Lambrusco vor dreißig Jahren so etwas wie heute der allgegenwärtige Hugo war. Dieses Prinzip ist übrigens auf viele andere Getränke anwendbar, sei es Chianti, Prosecco, Beaujolais oder Liebfrauenmilch. Für die USA hat man Lambrusco sogar in Dosen gefüllt, wie Paris Hiltons Prosecco. Spätestens wenn etwas in einer Dose über den Tresen geht, ist alles aus und vorbei. Marketingtechnisch lag er also am Boden. Nachtreten bitte! Es liegt also nicht in der Natur des Getränks, schlecht zu sein, sondern wie immer an der Herstellung. Und an dem Mangel an Sorgfalt bei der Herstellung. Lambrusco wird aus einer Vielzahl zugelassener Varietäten hergestellt, die jedoch nicht immer miteinander verwandt sind, auch wenn sie alle als Synonyme Lambrusco im Namen tragen. Dafür tauchen sie manchmal in der Herkunftsbezeichnung auf. Die gängigsten Spielarten der ampelografisch weit verzweigten Familie sind Lambrusco di Sorbara und Lambrusco Grasparossa. Diese sind unterschiedlicher, wie es nicht anders geht. Während die Lambrusco di Sorbara eine eher helle, dafür von deutlicher Säure geprägte Rebsorte ist, bringt die Varietät Grasparossa kräftiges Tannin, Alkohol sowie Körper und Farbe bei eher niedrigen Säurewerten auf die Flasche. Der Most wird in riesigen Tanks zunächst zu Stillwein vergoren. Danach gibt man Süßmost und Hefe dazu und stoppt die Gärung durch Kälteschock beim gewünschten Restzuckergehalt. Der wird danach ebenso wie die Farbe und der Grad der Karbonisierung den Geschmäckern der jeweiligen Exportländern angepasst, denn andere Länder, andere Sitten, auch bei Tisch. Schließlich schmeckt Cola auch überall anders. Manche Länder schätzen ihren Lambrusco eher dunkel, andere wünschen etwas weniger Kohlensäure. Kein Problem, die Märkte werden bedient. Lambrusco ist qua Herstellung kein Schaumwein, sondern ein Perlwein. Zwar gibt es ihn auch als Stillwein sowie als flaschenvergorenen Spumante, doch diese Varianten sind Mengenmäßig eher zu vernach­lässigen.

ALLES, WAS ENTSTEHT, IST WERT, DASS ES ZUGRUNDE GEHT

Aus dem geschilderten Szenario ergab sich die Situation, dass keiner mehr wirklichen Durst auf ihn hat. Die Preise sind wie der Ruf am Boden. Das hat zur Folge, dass dank des Preiskampfs alte Rebzeilen heute für kleines Geld zu haben sind und ambitionierten Winzern die Grundlage zur Produktion höchst spannender Weine bieten. Und hier treten wir auf den Plan: Die Connaisseure der klassisch handwerklich hergestellten Boutique-Lambrusci. Hergestellt wird er in fünf herkunftsgeschützten DOCs: Lambrusco di Sorbara, Lambrusco Grasparossa di Castelvetro, Lambrusco Reggiano, Lambrusco Salamino di Santa Croce (Salamino ist ebenfalls eine der Edelrebsorten für Lambrusco) sowie Lambrusco Mantovano. Letztere ist die einzige der fünf Regionen, die nicht in der Emilia-Romagna, sondern in der Lombardei liegt. Qualitäts-Lambrusco ist nicht immer süß, um die absurd-panische Angst vorm Zucker mal vorweg zu nehmen. Auch sprudeln tut er nicht immer. Rot sind sie alle, sprudelnd die meisten, süß nicht alle. Lambrusco gehört jung getrunken und zeichnet sich durch eine feine Beerenfrucht und manchmal florale Noten aus. Oftmals verspricht er bereits in der Nase ein leicht herbes Finish. Seine superbe, erfrischende Säure passt hervorragend zur Küche der Emilia-Romagna, in der es von Schweinereien wie Würsten, Schinken und Käsen nur so wimmelt. Auch zur Pasta mit deftigem Fleischsugo oder fruchtiger Tomaten­sauce gibt es kaum etwas Erfrischenderes. Gut gekühlt passt er auch eins a zum Grillen. Das einzige Problem besteht hierzulande nur darin, den guten, den echten, den handwerklich wertig hergestellten Lambrusco zu finden. Da der Ruf in Deutschland am Boden ist, wagen sich nur wenige engagierte Händler an ernsthaft und qualitativ hochwertige Lambrusci heran, denn ohne persönlichen Einsatz läge das Zeug wie Blei in den Regalen. Und das, obwohl guter Lambrusco erheblich günstiger ist als andere Sprudler. Falls also mal wieder Ebbe in der Kasse ist: Flugs ein paar Leute einladen, den Tisch voll Wurst und Schinken, Käse und Lambrusco parken und La Dolce Vita feiern. Man muss zwar ein wenig suchen, aber wer hört schon die Musik, die im Radio läuft? Und beim nächsten Gang zum Glascontainer immer schön lächeln. La Vita è bella. 

Guten Lambrusco gibt’s bei: Weinhalle Kössler und Ulbricht, www.weinhalle.de

Viniculture Holger Schwarz, www.viniculture.de